Die folgenden Fallbeispiele zeigen Ihnen Schadensfälle aus der Gynäkologie, in denen mein Fachgutachten zum Zuge gekommen ist.
1. FELIX
Plazentalösung | Saugglocke | Blutgerinnungsstörung
2. EMIL
Frühgeburt | Keime | Blutvergiftung | Sectio | Darmlähmung
3. ROSI
PTBS | Harninkontinenz | PDA | Schmerzerleben | Atemlähmung
4. SVENJA
Zervixkarzinom | Endometriose | Zyste | OP | Psychopharmaka | Bestrahlung
1. Felix
Plazentalösung
Felix wurde nach unauffälliger Schwangerschaft mit einem schweren Sauerstoffmangel geboren. Die ursächliche Plazentalösung wurde zu keinem Zeitpunkt des stundenlangen Verlaufes erkannt.
Saugglocke | Blutgerinnungsstörung
In einem Perinatalzentrum Level 1 wurde die Geburt von einer Hebammenschülerin und einer unerfahrenen Assistenzärztin geleitet. Als man den lebensbedrohlichen Zustand des Kindes endlich erkannte, wurde fehlerhaft eine Saugglockenentbindung vorgenommen. Das Neugeborene ließ man dann rituell vom anwesenden Vater abnabeln, statt unverzüglich die Reanimation zu beginnen. Sein Geburts-pH war nicht mehr messbar, sein 1-Minuten APGAR war 1. Er verbrachte Wochen auf der Kinderintensivstation. Bei seiner Mutter wurde eine lebensgefährliche Blutgerinnungsstörung als Folge der pathologischen Geburt viel zu spät erkannt, sie war ebenfalls mehrere Tage intensivpflichtig.
Die Besonderheit dieses Gutachtens lag in der Aufdeckung der tatsächlichen Vorgänge um die Geburt. Es wurden erhebliche Anstrengungen unternommen, die Fehler zu verschleiern. Der Geburtsbericht wurde vollständig neu erstellt und von klinischen Ereignissen befreit, welche die frühzeitige Erkennung der Pathologie hätte belegen können. Eine Blutprobe der Mutter, die eine Erkennung des regelwidrigen Geburtsverlaufes bereits bei Eintritt in den Kreißsaal ermöglicht hätte, lag bis zum nächsten Tag unbearbeitet im Labor. Die Klinik argumentierte mit einem Stromausfall, der vorgeblich eine zeitgerechte Auswertung der Blutprobe verhinderte. Gegenüber dem Gutachterausschuss der Ärztekammer wurde vorgetragen, dass eine Blutprobe nicht erforderlich sei.
Die Eltern haben früh realisiert, dass irgendetwas Schwerwiegendes bei der Geburt passiert sein musste, sind jedoch mit einer unwissend falschen Fragestellung an den Gutachterausschüssen der Ärztekammer gescheitert. Nachdem ein versierter Fachanwalt für Medizinrecht auf Grundlage meines Gutachtens den Fall übernahm, erkannte die Haftpflichtversicherung der Klinik die Regulierung des Schadens an, der im hohen sechsstelligen Bereich liegt.
2. Emil
Frühgeburt
Emil wurde 10 Wochen zu früh geboren. Seine Mutter wurde vier Wochen zuvor mit einem Blasensprung in der 26. SSW stationär aufgenommen. Obwohl es für diese komplizierte Ausgangssituation keine evidenzbasierte Leitlinie gibt, wurde gegen eine Vielzahl gesicherter Handlungsempfehlungen verstoßen.
Krankenhauskeime
Der unkritische Einsatz verschiedener Antibiotika führte unerkannt zu einer Selektion pathogener Krankenhauskeime. Die Folge war ein sog. Amnioninfektsyndrom seiner Mutter, welches bei Emil eine lebensbedrohliche Blutvergiftung auslöste. Der rettende Kaiserschnitt wurde zu spät durchgeführt, dazu unter Missachtung grundlegender Regeln für die Frühgeburtlichkeit. Die außerordentliche Abfolge der Fehler führte dazu, dass Emil sämtliche protektiven Maßnahmen zur Vermeidung frühgeburtlich bedingter Hirnblutungen vorenthalten wurden. In der Folge traten diese in schwerster Form auf und schädigten Emil nachhaltig.
Sectio | Darmlähmung
Bei der Sectio wurde viele handwerkliche Fehler gemacht, die Tage später in einer akuten Darmlähmung der Mutter mündeten. Die notwendige Diagnostik wurde fahrlässig verzögert, weil ein Assistenzarzt überlastet war. Aufgrund schwerer Kommunikationsfehler wurde dann eine Notoperation durchgeführt, die nicht notwendig war. Sämtliche Maßnahmen zur Vermeidung postoperativer Komplikationen wurden missachtet.
Aufgrund des frühen Blasensprungs startete Emil zudem mit vorgeschädigter Lunge ins Leben. Während seiner komplizierten Beatmung ereigneten sich dramatische Zwischenfälle, wie das unbemerkte Verrutschen des Beatmungsschlauch mit minutenlanger Unterbrechung seiner Sauerstoffversorgung. Eine unkritische Verfütterung medikamentenbelasteter Muttermilch war vermutlich auch die Ursache für eine seltene Form der kindlichen Darmlähmung, in dessen Folge Emil heute, nach mehrfachen Operationen, zusätzlich unter einem Kurzdarmsyndrom leidet.
Die Eltern wandten sich an einen Fachanwalt für Medizinrecht, weil der ungewöhnlich hohe Schädigungsgrad ihres Kindes Fragen aufwarf, die zunächst niemand suffizient beantworten konnte. Durch mein Gutachten konnte ich nachweisen, dass eine Fehlerkette und einzelne Behandlungsfehler verantwortlich waren und nicht die Frühgeburtlichkeit in der 31. Schwangerschaftswoche.
Die Besonderheit dieses Falls lag in der Abgrenzung zwischen den zu erwartenden Komplikationen einer Frühgeburt gegenüber Emils tatsächlich erlittenem Schaden. Ursache war eine Fehlerkette, bei der zu den jeweils wichtigen Entscheidungszeitpunkten gravierende Fehler gemacht wurden.
3. Rosi
PTBS | Harninkontinenz
Rosi ist eine junge Mutter, die am Geburtstermin ein gesundes Mädchen durch sekundäre Sectio geboren hat. Seitdem leidet sie an einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Panikattacken und ausgeprägter Phobie gegenüber medizinischen Einrichtungen und deren Personal. Nach der Geburt hat sie plötzlich eine höhergradige Harninkontinenz und starken Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. In der Folge hat sie ihre Ausbildung abgebrochen und ihre Ehe zerbrach.
Sie kommt mit einem seitenlangen Gedächtnisprotokoll zum Fachanwalt für Medizinrecht, nachdem sie vergeblich versuchte, im Kontakt mit der Entbindungsklinik das Geschehene aufzuklären. Ihre Einwände wurden ausnahmslos negiert, ihre Fragen blieben unbeantwortet. Erst spät gelang es uns, Einsicht in die Geburtsakte zu bekommen und diese mit dem Protokoll abzugleichen. Dabei zeigte sich ein Verlauf der Geburt, welcher durch alleinige Betrachtung eines gesund geborenen Kindes nicht zu erwarten war.
PDA
Dem Geburtsrisiko eines vorzeitigen Blasensprunges wurde mit medikamentöser Geburtseinleitung begegnet, die nicht aufgeklärt wurde. Später entschied man sich für eine PDA, ebenfalls ohne suffiziente Risikoaufklärung. Dann verwies die Gebärende stundenlang in Rückenlage und untersagte ihr jede Form der Bewegung und Nahrungsaufnahme. Schon in einer frühen Phase der Geburt wurde die Sectio thematisiert, während das geburtshilfliche Team, bestehend aus Ärztin und Hebamme, durch Passivität und einen ungewöhnlich rauen Umgangston auffiel. In der Akte wurde eine ‚Belehrung‘ der Patientin vermerkt.
Schmerzerleben
Nachdem man einem stark verzögertem Geburtsverlauf tatenlos hinnahm, folgte die Aufforderung zum Pressen im Vierfüßlerstand, ohne dass der Muttermund vollständig geöffnet war. Der Grund dafür war eine Fehleinstellung des kindlichen Kopfes (hoher Gradstand), die schlicht übersehen wurde, der verzögerte Verlauf der Geburt wurde nicht erkannt. Nebst unsachgemäßer Handhabung der Wehen fördernden Mittel und aktiver Zurücknahme der PDA-Wirkung verstieg man sich nach Stunden schmerzhaften Geburtsstillstandes auf „Kristellerhilfe“ mittels umschlungenen Bauchtuchs und Ellenbogeneinsatz der bei Geburt anwesenden Ärztin. Ohne jegliche Wirkung auf den Höhenstand des kindlichen Kopfes, erlebte die Mutter diese Phase als extrem schmerzhaft und übergriffig.
Das Schmerzerleben war so stark, dass Rosi in panischer Angst jede weitere vaginale Untersuchung ablehnte, die zuvor unnötig häufig erfolgten, weil Ärztin und Hebamme getrennt voneinander untersuchten. Was sie jedoch nicht davon abhielt, es dennoch zu tun, indem einer die Beine fixierte und der andere seine Hand zur Untersuchung einführte. Statt der richtigen Diagnose für den Geburtsstillstand sagte man Rosi, ihr Becken sei zu eng. Man spritze die PDA auf und fuhr die Patientin entgegen ihres Willens und ohne wirksame Aufklärung in den OP.
Atemlähmung
Die plötzlich hohe Dosierung der PDA verursachte ein Aufsteigen des Narkosemittels, welche im OP zur Atemlähmung führte. Rosi erlebte diesen Zustand bei vollem Bewusstsein und in Todesangst. Aufgrund der kurzen Einwirkungsdauer der PDA hatte diese initial keine schmerzstillende Wirkung, Rosi erfuhr den Bauchschnitt und die anschließende Entwicklung des Kindes mit vollem Schmerzerleben. Das ärztliche Personal reagierte mit herabwürdigenden Äußerungen. Das Ende der OP erlebte Rosi auf der Intensivstation, der Aufenthalt und der Zwischenfall wurden nicht dokumentiert.
Mein Gutachten konnte schwerwiegende Fehler im medizinischen Vorgehen nachweisen. Führend jedoch ist der Nachweis einer Körperverletzung durch unterschiedlichen Forme der Gewaltausübung des medizinischen Personals. Rosis Krankheitsbild ist zweifelsfrei mit dem traumatischen Erleben unter Geburt vereinbar und wird zusätzlich von einem psychologischen Gutachten gestützt. Die Besonderheit dieses Falls lag in einer genauen Abgrenzung zwischen den üblichen geburtshilflichen Methoden und Verfahren gegenüber der Gewaltanwendung.
4. Svenja
Zervixkarzinom | Endometriose
Ende 20, suchte wegen eines unerfüllten Kinderwunsches eine Fachärztin auf. Sie verschwieg ihr jedoch, dass sie bereits einen fortgeschrittenen Gebärmutterhalskrebs (Zervixkarzinom) hatte und wies sie zur Sterilitätsabklärung in ein Krankenhaus ein. Sie betonte eine Endometriose als Ursache der Kinderlosigkeit, trotz unvollständiger Untersuchung. Die Krebserkrankung war die Folge eines bereits auffälligen Abstriches in einer anderen Praxis fünf Jahre zuvor. Dort vergaß man jedoch, Svenja den Befund mitzuteilen und sie an regelmäßige Kontrollen zu erinnern.
Zyste
Im Krankenhaus sollte eine Bauchspiegelung zur Prüfung der Eileiter durchgeführt und eine Zyste am Eierstock entfernt werden. In der Einweisung wird das Zervixkarzinom lediglich als „auffälliger Abstrich“ bezeichnet. Svenja wird mitgeteilt, dass vielleicht eine zweite Operation notwendig sei, um alle Endometrioseherde zu entfernen. Wegen des auffälligen Abstriches sollte zudem eine Ausschabung der Gebärmutter erfolgen. Die Indikationen wurden von einer Assistenzärztin gestellt.
Operation
Zwei Wochen nach der Aufnahmeuntersuchung, die trotz fortgeschrittenen Krebses einen unauffälligen gynäkologischen Befund beschreibt, wird die Operation durchgeführt. Zu Beginn entscheidet sich die Oberärztin, eine „suspekte Veränderung am Muttermund“ mit einer elektrischen Schlinge großflächig abzutragen. Dann entfernt sie eine Zyste am Eierstock, entnimmt eine Gewebeprobe eines einzelnen Endometrioseherdes und dokumentiert dann Abbruch der Operation wegen „Verdacht auf Zervixkarzinom“.
Psychopharmaka
Bei der Visite am Abend teilt sie Svenja mit, dass sie nicht alle Herde entfernen konnte, weshalb ein zweiter Eingriff notwendig würde. Den dringenden Krebsverdacht erwähnt sie nicht. Am nächsten Morgen teilt der Chefarzt Svenja die Krebsdiagnose mit. In der sicheren Annahme, dass die Operation ihr Kinderwunschproblem gelöst hat, ist die Diagnosemitteilung ein schwerer Schock. Svenja erhält Psychopharmaka. Stunden vor ihrer Entlassung wird ihr die geplante Therapie anhand einer Skizze erläutert, danach unterschreibt sie die Einwilligung für eine große Bauchoperation mit anschließendem Intensivaufenthalt, bei der ihre Gebärmutter entfernt werden soll. Diese soll zwei Wochen später stattfinden, weil der Chefarzt zunächst im Urlaub sei.
Das das Krankenhaus weder eine nennenswerte Erfahrung mit dieser Therapie hat nicht für gynäkologische Krebserkrankungen zertifiziert ist, sagt man ihr nicht. Auch nicht, dass die Diagnose aufgrund unvollständiger und mangelhafter Untersuchung falsch eingestuft wurde, was später schwerwiegende Folgen haben wird.
Im zweiten Aufenthalt, inmitten der großen Bauchoperation, die mit studentischer Assistenz durchgeführt wurde, entscheidet sich der Chefarzt gegen eine Gebärmutterentfernung und beschäftigt sich stattdessen mehrere Stunden mit der Entfernung der Endometrioseherde. Zur Begründung gibt er an, dass ein Wächterlymphknoten befallen sei und deshalb eine Bestrahlung mit Chemotherapie die einzige Therapieoption sei. Diese sollte an Praxiskliniken durchgeführt werden, die dem Krankhaus angegliedert sind.
Bestrahlung
Svenja erlebt in rascher Abfolge komplexe Aufklärungen mit weitreichenden Folgen. Man sagt ihr, dass sie durch die Therapie unfruchtbar werde und in die Wechseljahre komme. Möglichkeiten zum Fertilitätserhalt werden ihr nicht genannt. Svenja ist aufgrund der Operationsnachwirkungen derart geschwächt und mit Schmerzen belastet, dass sie die wochenlange Bestrahlung mit verschiedenen weiteren Krankenhausaufenthalten über sich ergehen lässt. Sie hat nicht die geringsten Zweifel, dass ihre Krebserkrankung fachgerecht therapiert wurde.
Ein Jahr später wendet sie sich, inzwischen schwerbehindert, an einen Fachanwalt für Medizinrecht, weil sie erfahren hat, dass ein verdächtiger Zervixabstrich bereits vor 5 Jahren bekannt war. Die Krebserkrankung und deren dramatische Folgen hätten verhindert werden können. Ihr wurde jedoch unterstellt, sich nicht um die Kontrolle gekümmert zu haben.
Ich werde mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt, welches im Laufe eines Jahres mehrere hundert Arbeitsstunden benötigt hat. Die schiere Anzahl der beteiligten Personen und Kliniken, sowie der hohe Aufwand, die Krankenakten einzusehen und zu vervollständigen, machten diesen Fall außergewöhnlich.
Bei meinen Recherchen stelle sich heraus, dass der tatsächliche Verlauf mit gefälschten Dokumenten und wohl formulierten Entlassungsbriefen in eine Richtung manipuliert wurde, die dem Krankenhaus eine heroische, lebensrettende Funktion zuwies. Man entdeckte glücklicherweise zufällig den Krebs und bekämpfte diesen mit großem Engagement. Nebenbei erzeugte man einen erheblichen Abrechnungswert, indem durch die falschen Fallpauschalen mehr abgerechnet wurde als zulässig war. Man ging sogar soweit, die Eingriffe intensivmedizinisch zu dramatisieren, obwohl das zu keinem Zeitpunkt notwendig war.
Die Krebsdiagnose wurde falsch eingestuft und inmitten der Therapie wurde die Strategie gewechselt. Diese Entscheidung allein kostete Svenja ihre Fortpflanzungsfähigkeit, über die Möglichkeiten des Fertilitätserhalts wurde sie nicht informiert. Die gravierenden Mängel der postoperativen Überwachung und Betreuung führten überdies zu einer Belastung mit Schmerzen und Todesängsten, die bei fachgerechter medizinischer Versorgung vermeidbar gewesen wären.
Die Besonderheit in diesem Fall liegt in der Vielzahl der beteiligten Personen und Einrichtungen, die in eine außergewöhnlich Fehlerkette mündeten. An mehreren Stellen wäre sich zu unterbrechen gewesen, jedoch entschied man sich für den Profit und nicht für Svenjas Gesundheit.